- Straßenverkehr: Staus und Verkehrsmanagement
- Straßenverkehr: Staus und VerkehrsmanagementDass 42 Millionen deutscher Personenwagen zusammen mit den LKWs das System »Straßenverkehr« verstopfen, ist kaum umstritten. Die Reisezeit ist — zumindest über längere Strecken und zu bestimmten Zeiten — fast unkalkulierbar geworden. Der Zusammenbruch des Verkehrs nicht nur zu Ferienzeiten und Dauerstaus, deren bloße Meldung im Verkehrsfunk mehrere Minuten dauert, deuten auf eine zunehmende Ineffizienz des Straßentransports hin.Auto- und Verkehrsprobleme und technische Innovationen: Lösungen und ScheinlösungenSeit vielen Jahren schon spricht man vom bevorstehenden »Verkehrsinfarkt«, die Metapher scheint aber unzutreffend: Der Anteil des Straßenverkehrs an den gesamten Verkehrsleistungen wächst weiterhin. Wie misst man also die Effizienz oder Ineffizienz eines Verkehrssystems? Es gibt nur wenige objektive Kriterien — die Reisezeiten, die Anzahl der Fahrzeuge, die pro Zeiteinheit eine Straße befahren (der »Durchsatz«), die Stauzeiten. Die Verkehrsteilnehmer haben derzeit nur wenig Anlass, sich von der Straße abzuwenden. Trotz Zunahme der Staus ist die Reisezeit des Autos von Tür zu Tür konkurrenzfähig geblieben, und das Auto bietet im Vergleich zu öffentlichen Verkehrsmitteln Annehmlichkeiten wie Privatheit, Fahrlust oder Schutz vor Witterung.Die Autoindustrie reagiert konstruktiv auf die sich verschärfende Systemüberlastung. VW plante schon in den 1980er-Jahren ein »Stauauto«: Der Wagen ist klimatisiert, hat eine optimierte Unterhaltungselektronik und drehbare Sitze, um das Gespräch der Insassen zu erleichtern. Ein Stau wird so fast zum angenehmen Erlebnis.Seit längerem befassen sich die Verkehrswissenschaftler mit Strategien zur Optimierung und Verminderung des Verkehrs — bislang allerdings ohne nennenswerte Erfolge. Schlagworte von »nachhaltiger Mobilität« oder »umweltverträglichem Verkehr« gehören inzwischen zum Vokabular der europäischen Verkehrsministerien; die konkrete Implementierung lässt allerdings auf sich warten.Zur Lösung der Straßenverkehrsprobleme gibt es zwei Ansätze: technische und soziale. Die technisch orientierten Lösungen — seien es Maßnahmen am Fahrzeug selbst oder auch im Fahrzeugumfeld — dominieren: Den Schadstoffemissionen wurde durch die Einführung von Katalysatoren begegnet, Unfällen durch Airbags und Sicherheitsgurte; bei Staus sollen elektronische Hilfsmittel (»Telematik«) helfen. Parkhäuser haben die Parkplatznot der Innenstädte etwas reduziert.Als ein Beispiel, wie zwiespältig solche technischen Lösungen sind, sind die elektronischen Parkleitsysteme in den Städten anzuführen, die parkplatzsuchende Fahrer in freie Parkhäuser lotsen: Einerseits entlasten sie die Innenstädte vom Suchverkehr und reduzieren die Zeitvergeudung der Fahrer bei der Parkplatzsuche; andererseits ziehen sie zusätzlichen Verkehr an, da die Wahrscheinlichkeit steigt, einen Parkplatz in zumutbarer Zeit zu finden, und die Autofahrer damit motiviert werden, doch mit dem PKW ins Stadtzentrum zu fahren.Hingegen gehen soziale Maßnahmen wie das »Umerziehungs«-Modell von einer gezielten gesellschaftlichen Umbewertung aus: Wenn heute noch Autos Status- und Prestigesymbole ersten Ranges sind, so könnte der bewusste Verzicht auf den eigenen Wagen durchaus auch prestigeträchtig werden. In bestimmten sozialen Gruppierungen kann »autofreies Wohnen« oder die Teilnahme an »Carsharing-Projekten« die erwünschten gesellschaftlichen Signale geben, umweltverantwortlich zu handeln und »verstanden zu haben«. Bewusst auf ein Auto zu verzichten wäre damit ein ebenso wirkungsvolles Mittel zur sozialen Distinktion wie Fahren und Besitz eines teuren Wagens.Doch die Attraktionen der individuellen Motorisierung sind allemal größer als solche, auf relativ kleine Gruppen zugeschnittene Modelle gezielter gesellschaftlicher Umwertung der Autokultur. Es gibt heute noch kein Indiz dafür, dass es eine breite gesellschaftliche Bewegung weg vom Auto gibt, im Gegenteil. Die Argumente der Autokritik sind allen bekannt, haben aber keine praktischen Folgen.Die intelligente Straße: Lösung oder Verschärfung der Verkehrsprobleme?Eine Lösung der Probleme des Straßenverkehrs wird in »intelligentem« Verkehrsmanagement gesehen. Beim digitalen Verkehrsfunk soll das eingebaute Radio die gerade für die befahrene Route relevanten Informationen herausfiltern und zum Fahrer durchstellen. Der Deutsche Wetterdienst hat ein »Straßenzustands- und Wetterinformationssystem« (SWIS) eingerichtet, das mit Hunderten von Messfühlern entlang den Autobahnen operiert. Überfüllung der vorhandenen Straßen, die Massenstaus und Probleme durch Baustellen oder Witterung will man durch »Verkehrsbeeinflussungsanlagen« in den Griff bekommen, die durch Mikroelektronik im Dialogsystem mit den Fahrzeugen gesteuert werden. Heute schon gibt es Wechselverkehrszeichen in Form von Schilderbrücken, die bei Nebel, Nässe, Eis, Staus oder Unfall die Höchstgeschwindigkeit begrenzen.Im Rahmen des inzwischen abgeschlossenen europäischen Forschungsprojekts »Prometheus« zu »intelligenten« Straßensystemen wurden weitere technische Lösungen vorgeschlagen und erprobt. Bald könnten Autos »dialogfähig« werden: Leitpfosten entlang den Autobahnen dienen dann als Sender und Empfänger. Mithilfe von Sensorpfosten könnten, ebenso wie mit Infrarot-Erkennung der Autokennzeichen oder Chipkarten, Straßengebühren elektronisch erhoben und gestaffelte Knappheitspreise berechnet werden. Über solche Gebühren, sei es für die Straßenbenutzung, sei es für die Berechtigung zum Befahren der Innenstädte, könnte man die Verkehrsverteilung steuern. Sogar direkte Beeinflussungen des Fahrzeugs von außen — etwa die Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit in den Städten — werden diskutiert.Schon heute sind in vielen Fahrzeugen Navigations- und Zielführungssysteme vorhanden, die mit Satellitendaten (GPS) operieren und den Fahrer unterstützen. Solche Systeme gelten auch als sinnvoll beim Ressourcen sparenden Flotteneinsatz von LKWs und zur Vermeidung von Leerfahrten. Noch Zukunftsmusik hingegen sind Verfahren der automatischen Abstandsüberwachung und der automatischen Spurhaltung, die einmal zu einer Art »elektronischem Schienenstrang« führen könnten. All diese Maßnahmen werden unter dem Kunstwort »Telematik« zusammengefasst.Einmal abgesehen von den juristischen Fragen ergibt sich eine Reihe verkehrstechnischer Probleme beim gerätegeleiteten Fahren. Viele rechnen mit einer Überforderung des Fahrers beim Umgang mit den elektronischen Systemen und daher mit einer Sicherheitsreduktion. Niemand weiß, wie der Fahrer mit den »elektronischen Entscheidungen«, die ihn letztlich entmündigen könnten, umgeht. Befürchtet wird beim flächendeckenden Einsatz von Verkehrsleittechnik — die besser als Verkehrsverteilungstechnik bezeichnet werden sollte — auch, dass ein weiterer Anreiz für mehr Verkehr durch scheinbar leerere Straßen geschaffen wird, dass Staus großflächig verteilt werden, und letztlich dass die unrealistische Hoffnung geweckt wird, es könne mit der Mobilität weitergehen wie bisher. Nahezu unrealistisch wird dieses Projekt auch durch die Kosten: Der VDA schätzt das Marktvolumen für Telematik auf 200 Milliarden DM bis zum Jahr 2010. Intelligentes Verkehrsmanagement führt möglicherweise nur zu einer teuren und aufwendigen Verwaltung der Überfüllung und wäre damit problemverschärfend.Dr. Kurt MöserGrundlegende Informationen finden Sie unter:Kraftwagen: Fahren mit trügerischer Sicherheit - VerkehrsunfälleAicher, Otl: Kritik am Auto. Schwierige Verteidigung des Autos gegen seine Anbeter. Eine Analyse. Berlin 21996.Alptraum Auto. Eine hundertjährige Erfindung und ihre Folgen. Begleitbuch zur gleichnamigen Photo-Ausstellung. .., Beiträge von Peter M. Bode u. a. München 51991.Barske, Heiko: Auto und Verkehr. Wege aus der Sackgasse in eine Zukunft mit Perspektive. Gießen 1994.Berger, Roland / Servatius, Hans-Gerd: Die Zukunft des Autos hat erst begonnen. Ökologisches Umsteuern als Chance. München u. a. 1994.Schlott, Stefan: Fahrzeugnavigation. Routenplanung, Positionsbestimmung, Zielführung. Landsberg am Lech 1997.Schreiber, Jürgen: Auto-Praxis. .. von A- Z, bearbeitet von Birgit Kollbach und Heinrich Sonntag. Wiesbaden 141997.Zängl, Wolfgang: Der Telematik-Trick. Elektronische Autobahngebühren, Verkehrsleitsysteme und andere Milliardengeschäfte. München 1995.
Universal-Lexikon. 2012.